Der Grammatiker Christian Gueintz

 updated: 17.01.2010

 

Allgemeine Wahrnehmung


Trotz seiner Bedeutung innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft, der bedeutendsten deutschen Sprachgesellschaft, ist Christian Gueintz' heute ein nahezu vergessener Grammatiker. [3]

So findet Christian Gueintz' Verdienst in der Germanistik in den Standardhandbüchern der deutschen Sprachgeschichte nur oberflächliche Würdigung. [2]

Adolf Bach (1979) bezeichnet seine beiden Werke, Deutsche Sprachlehre (Entwurf) und Deutsche Rechtschreibung neben den Schriften Luthers die "Reichstagsabschiede" als sprachlich maßgebend, wobei diese einzige Referenz bei ihm eher die Verdienste Luthers hervorhebt als die von Gueintz. Bei Heinz Eggers (1969) wird erwähnt, dass Gueintz nur als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft die Deutsche Sprachlehre schrieb und führt dann weiter aus: "Die mancherlei mehr oder weniger gelungenen Versuche der Folgezeit einschließlich der unzulänglichen Sprachlehre des oben erwähnten Christian Gueintz dürfen wir hier übergehen ... ". Für ihn war der erste deutsche Grammatiker Justus Georg Schottel. [2]

John Watermann (1991) sieht es etwas differenzierter und bewertet Gueintz' Werk "Die Deutsche Sprachlehre" als ein hoch beachtenswertes Werk. Es wird beeinträchtigt durch einen pedantischen und dem Leser zusetzenden Versuch, die Teile der Sprache in eine logische Klassifizierung zu geben. Es diente den unvorhersehbaren, aber indirekt bedeutsamen, Schritt: Es führte in die sehr bekannte Grammatik des 17. Jahrhunderts von Justus Georg Schottel, der versuchte, das zu kompensieren, was er in Gueintz' Werk als Schwäche oder zu kurz gekommen ansah. [2]

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Allgemeine Wahrnehmung

Hintergrund der fehlenden Akzeptanz

Seine beiden grammatikalische Werke

Die Deutsche Sprachlehre (Entwurf) 1641

Die Deutsche Rechtschreibung 1645

Fazit

Quellen

 

 

 

Hintergrund der fehlenden Akzeptanz

In der Fruchtbringenden Gesellschaft prallten damals in der Frage, woran man sich in sprachlichen Zweifelsfragen orientieren soll, zwei Richtungen aufeinander: die Anormalisten und die Analogisten. Die konservativeren Anormalisten billigten dem akzeptierten Sprachgebrauch die normative Wirkung zu. "Schreibe im Zweifelsfalle so wie Du sprichst." Dieser Standpunkt wurde durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, dem Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, und Christian Gueintz, den dieser noch von den Rachitischen Reformen in Köthen kannte, vertreten. [3]

Währenddessen vertraten die jüngeren Analogisten die Meinung, dass die Grundrichtigkeit der Sprache dem unumwandelbaren, idealen Regelwerk der Grammatik gehorchen müsse. Zu dieser Richtung müssen Georg Philipp Harsdörffer und Justus Georg Schottelius gerechnet werde. [3]
Der Unterschied wird an dem Beispiel der männlichen Pluralbildung deutlich: Während Schottelius aus systembedingter Analogie als Plural von "Mörder" "Mördere" forderte, beharrte Gueintz von seinem anormalistischen Ansatz her auf "Mörder". [3]

Markus Hund (2000) sieht einen Grund unter anderen darin, dass die Analogisten der jüngeren Generation angehörten und damit ihr Standpunkt überlebte. Aber auch Schottelius musste später auch soziolinguistische Gesichtpunkte neben der reinen Analogie als normgebende Instanzen anerkennen. [3]

In den vielfältigen Abhandlungen sind direkte Vergleiche zwischen den Arbeiten von Gueintz und Schottelius rar, und leider gibt es noch keine Monographie zu Gueintz. [3]

 

 

 

 

Seine beiden grammatikalische Werke

 

Die Deutsche Sprachlehre (Entwurf) 1641

Die Sprachlehre besteht aus verschiedenen Einführungsseiten und Widmungen für Herzog von Braunschweig und Lüneburg und Fürst Ludwig zu Anhalt, Graf zu Askanien, Herrn zu Bremburg und Zerbst; ein Statement bezüglich des Wertes der deutschen Sprache, sowie sieben Seiten an den Leser mit der Begründung, warum es einer Grammatik bedarf. [2]

Der Hauptteil ist zweigeteilt. Das erste Buch enthält 21 Kapitel: von der Sprachlehre, der Wortschreibung, der Wortsprechung, den Unterscheidungen und der Wortforschung - der Etymologie. Das andere Buch enthält 16 Kapitel: von der Wortfügung, von der Unterscheidung, welches Interpunktion bedeutet, sowie der Syntax. Am Ende folgen mehrere Seiten Lateinischer Kunstwörter mit ihren deutschen Entsprechungen. [2]

Ein Manuskript dieses erstmalig 1641 in Köthen veröffentlichen Werkes kreiste seit November 1638 zum Zwecke der Durchsicht und bei Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft, unter anderem bei Nr. 2 (Ludwig Fürst zu Anhalt-Köthen), Nr. 31 (Diederich von dem Werder), Nr. 200 (Martin Opitz), Nr. 227 (August der Jüngere Herzog von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel) und anderen Gelehrten, wie Buchner und Schottelius, die später unter Nr. 362 bzw. Nr. 397 in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen wurden, sowie bei alten Mitarbeitern an der Köthener rachitischen Reform, wie Balthasar Walter und Martini. Man kann daher sagen, dass sie den ersten, terminologisch an Ratke anknüpfenden Versuch darstellt, grammatische Regel für die deutsche Sprache zu entwickeln. [1]

Bereits ein Jahrhundert später urteilt Reichards (1747), dass der Versuch die deutsche Sprache zu ordnen, nicht aufs Beste gelungen ist. [5]

Jelinek (1913) listet eine Reihe von Mängel in der Sprachlehre auf. So zum Beispiel der permanente Fehler, Zeiten zu definieren, verschiedene Zeiten für den gleichen Gedanken, gleiche Zeiten für verschiedene Gedanken, das Fehlen von illustrativen Beispielen und die irritierende Aufmachung der Darstellung, der bis zum Wahnsinn getriebenen Dichotomenen (Gabelungen, Verzweigungen). [2]

Für Takada (1981) war die Deutsche Sprachlehre wegen ihrer Knappheit als Schulgrammatik konzipiert. Sie folgt weitgehend der Allgemeinen Sprachlehre und der Allunterweisung von Ratke. Die Kürze der Darstellung, das Fehlen jeglicher Begründungen und Beispiele verhindern die leichte Nachvollziehbarkeit für den Leser. Für Hundt (2000) führten zwei wesentliche Kriterien zur Unverständlichkeit des Werkes: der Text ist zu wenig explizit (zu wenig ausführlich dargestellt) und der Mangel an jeglichen Erklärungen. [3]

 Top 50 Ahnenforschung

 

Als Nachdruck: Georg Olms Verlag, Documenta Linguistica, Hildesheim, New York (1978)

 

 

 

 

Die Deutsche Rechtschreibung 1645

Die Deutsche Rechtschreibung ist ein typisches Beispiel für die Arbeit in der Fruchtbringenden Gesellschaft. Gueintz hatte bereits 1643 das Manuskript fertig gestellt. Zwei Jahre zirkulierte das Werk unter den Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft, wurde gegengelesen, es wurden Gutachten erstellt und einzelne Punkte schriftlich diskutiert, bevor es in den Druck gehen konnte. Die Deutsche Rechtschreibung kann daher als gemeinschaftliches Produkt der Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft gelten. [3]

Hierin wird die Orientierung an die Etymologie (Ursprung) des Wortes, seine Aussprache und die Gewohnheit festgeschrieben. Unklar bleibt jedoch, wann welches Prinzip zu gelten soll. Gueintz orientierte sich im Einzelfall an Luthers Bibelübersetzung: "Schwer mit dem langem e einsylbig/ das grosse last hat. Psal. 32/ 4. Den deine hand war tag und nach schwer auf mir." [3]

Die Deutsche Rechtschreibung besteht zum überwiegenden Teil aus einem Wortverzeichnis. Im Gegensatz zu der Deutschen Sprachlehre wurde die Deutsche Rechtschreibung viermal aufgelegt, was auf höhere Akzeptanz schließen lässt. Offensichtlich waren die Wortlisten recht praktisch zum Nachschlagen geeignet. Harsdörffer bemerkt, dass die Deutsche Rechtschreibung in den diplomatischen Verhandlungen im Umkreis des Westfälischen Friedens Verwendung fand. [3]

Reichards (1747) bezeichnet 100 Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe: "Die Regel und Anmerkungen, oder Gewerke, wie der Verfasser beschreibt, sind größtentheils gegründet und auch heut zu Tage noch von Gültigkeit." [5]

 

 

 

Als Nachdruck: Georg Olms Verlag, Documenta Linguistica, Hildesheim, New York (2008)

 

Fazit

Neben diesen, meist aus unserem heutigen Wissen heraus, also aus der Retrospektive abgeleiteten Beurteilungen, darf der zeitgenössische Bezugspunkt nicht außer Acht gelassen werden. Nach anderthalb Jahrtausend Unterdrückung der Wissenschaft durch die christliche Kirche war man in der Renaissance und im Humanismus dabei, die Erkenntnisse des Altertums wiederzuentdecken. Dabei tat man sich schwer, sich von dem Primat der Theologie zu emanzipieren und sich von der Textgebundenheit der Bibel zu lösen. So ist es erklärlich, dass Gueintz davon ausging, dass die deutsche Sprache bei der Sprachverwirrung anlässlich des Turmbaus zu Babel entstanden sei (Deutsche Sprachlehre, Seite 2).


Auch war die Scholastik nicht völlig überwunden, in der es üblich war, in Zweifelsfragen eine Autorität zu befragen. Und diese Autorität war für ihn und viele andere seiner Zeit Martin Luther. Sicher auch deshalb, weil Luther auch als kirchliche Autorität galt. Damit war nach den damaligen Regeln der hinreichende Beweis der Richtigkeit einer Meinung erbracht. So wird deutlich, welcher Umfang an Wissen erarbeitet werden musste, um das zu schaffen, was uns heute als selbstverständlich erscheint. Dies betrifft nicht nur die Grammatik, sondern alle zum erfolgreichen Vermitteln von Wissen notwendigen Kenntnisse und Vorstellungen. Es hatte vorher ja noch nichts gegeben, an dem man sich hätte orientieren können. Vielleicht wäre damals ein Wörterbuch als Nachschlagewerk, aus Luthers Bibelübersetzung abgeleitet, das Richtige gewesen. Der Anspruch war aber höher und höher, als die Fähigkeiten, ihn erfolgreich umzusetzen.


So war es zum Beispiel offensichtlich noch nicht üblich, Bücher mit einem Inhaltsverzeichnis zu versehen. Gueintz' Manuskripte zu den beiden Werken "Die Deutsche Sprachlehre" und "Die Deutsche Rechtschreibung" besaßen ein solches [3], welches beim Drucken weggelassen wurde. Selbst in der Dissertation seines Enkels von 1692 gibt es kein Inhaltsverzeichnis. Heute unvorstellbar.


So hat es sicher aller Protagonisten bedurft, um Schritt für Schritt das Wissen zu generieren, es aufzubereiten und zu präsentieren. Ohne die Erfahrungen von Gueintz sähe Schottelius' Werk sicher ander aus. Gueintz hat vieles von Ratke übernommen, der selbst den Weg zu einer einheitlichen deutschen Sprache vor sich sah, aber ihn aus eigener Kraft nicht hatte gehen können. Und der Weg, den die deutsche Sprache zu einer allgemeinen, einheitlichen, klar definierten Sprache der Deutsch Sprechenden wurde, war noch lang.
In dieser Kette stellt Gueintz ein wichtiges Glied dar. Viele seiner Vorschläge haben sich bis heute erhalten. So ordnet zum Beispiel Kluge (1975) die Grammatik-Begriffe Einzahl, Doppelpunkt, Geschlechtswort, Selbstlaute und Zeitwort der Miteinführung von Gueintz zu. [4]

Quellen

 [1] Conermann, Klaus (Edit.): Der Fruchtbringenden Gesellschaft Vorhaben, Namen, Gemählde und Wörter, Faksimile des ersten Bandes des im Historischen Museum Köthen aufbewahrten Gesellschaftbuches Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen, Leipzig (1985).
 [2] Kyes, Robert L.: Grammar and grammars in seventeenth-century Germany: The case of Christian Gueintz, in Rauch, Irmengard (Hrsg.); Carr, Gerald F. (Hrsg.): Insights in Germanic Linguistics I, Methodology in Transition, Berlin, New York (1995)
 [3] Hundt, Markus: "Spracharbeit" im 17. Jahrhundert, Berlin, New York (2000).
 [4] Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 21. Auflage, Berlin, New York (1975).
 [5] Reichards, Elias Caspar: Versuch einer Historie der deutschen Sprachkunst, Hamburg (1747)

 

 

 

 

 


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