Einleitung


Die Herkunft und Bedeutung des Familiennamens (FN) Schmerse wurde ausführlich recherchiert und bei Fachwissenschaftlern1, 2 nachgefragt von Herbert Schmerse (Dortmund), dem ich an dieser Stelle danken möchte. Sie ist vorher lediglich Gegenstand von Spekulationen gewesen. Die vier verbreitetsten namenkundlichen Lexika helfen kaum oder gar nicht weiter. Max Gottschald3 meint, daß der FN Schmerse aus dem Ortsnamen (ON) Schmersau entstanden sei, schweigt sich aber über dessen Herkunft und Bedeutung aus. Er ist der Ansicht, (bei dem FN Schmartz), daß die lautlich ähnlich klingenden FN Schmars, Schmarse und Schmarsow auf das polnische Wort smardz (angeblich) gleich Pilz zurückgehen. Bezüglich der Übersetzung irrt der Verfasser, denn das Wort smardz ist mit Morchel (Speisemorchel) zu übersetzen4, Pilz dagegen bedeutet im Polnischen grzyb.

Hans Bahlow5 ist der Ansicht, daß der FN Schmerse auf den slawischen ON Schmersau zurückgeht, ohne jedoch den Nachweis für dessen slawische Herkunft zu führen. Er deutet außerdem einen Zusammenhang mit Schmarsow und ähnlichen Namen an. Dazu muß ergänzt werden, daß er solche Namen weder besonders aufführt noch über ihre Herkunft und Bedeutung eine Aussage macht. Adolf Bach6 sowie Heintze-Cascorbi7 nennen weder die Namen Schmersau und Schmerse noch Schmars, Schmarse und Schmarsow.

Ortsnamen des Stammes Schmers- gibt es nur einen, mit dem Stamm Schmars- weitere zehn8: Schmersau (bei Stendal/Magdeburg), Schmarsow (Smardzewo, Kr. Schlawe/Pom. ), Schmarsau (bei Lüchow), Schmarsau (bei Dannenberg), Schmarsow (Kr. Ostprignitz), Schmarsau (Kr. Glogau/Schlesien), Schmarsow (Kr. Prenzlau), Schmarse (Smardzów, Kr. Oels/Schles. ), Schmarsow (Kr. Demmin), Schmarse (Smardzewo, Kr. Züllichau), Schmartsch (Smardzów, Kr. Breslau). Das Dorf Schmarse im Kreis Züllichau, am Anfang des 13. Jahrhunderts von Slawen (Wenden) bewohnt, hieß ursprünglich wohl "Smoarz", mit der Bedeutung "Morcheldorf"9. Weiterhin gibt es den Ort Smarso bei Forst (Kr. Guben), für den auch die Schreibweisen Smarzów10, Schmarso8 und Schmarsow11 und auch Schmerse12 angegeben werden.

Der Unterschied von smar(d)z- zu schmers- ist dabei gut erklärlich: ein Vokal vor dem Buchstaben r unterliegt weitgehendem Wechsel. Die entsprechende slawische Wurzel smr- erscheint im Altsorbischen als smer-, im Neusorbischen und Russischen als smor- und im Polnischen als smar-. Bei Entlehnungen entspricht ein helles a im Polnischen einem offenen deutschen e, z. B. bei den Worten ratunek-Rechnung, fala-Welle oder fankiel-Fenchel. Der konsonantische Anlaut sm- wurde wie in deutschen Wörtern lautgesetzlich zu schm-, der Auslaut -s entspricht im Polnischen dem verschärften -dz. Im Polnischen sind von Pilzbezeichnungen als Eigennamen am häufigsten Ableitungen von rydz "Reizker" vertreten, die Namen Smardz und Smarsz sind aber auch zu finden. Es sei noch erwähnt, daß der Name Smurden für den dienenden Bauer in der Neumark nicht vorkommt, eine Ableitung des Familiennamens davon also nicht stattgefunden haben kann.

Die ersten Erwähnungen des Familiennamens Schmerse stammen aus der Zeit um 1600. Er erscheint dort in den Musterungslisten der neumärkischen Städte Zielenzig Kr. Oststernberg (Os) (1599) und Landsberg (1623). Bis zum Jahre 1700 sind dem Chronisten neun Schmerses bekannt, ausschließlich aus dem Kreis Landsberg (L) und angrenzenden Kreisen in der Neumark: neben den beiden Genannten vier aus Kernein (L) und je einer aus Ostritz (Kreis Schwiebus), Schermeisel (Os) und Wepritz (L); darüberhinaus zwei aus Rädnitz (Kreis Crossen) und einer aus Zielenzig (als Schmarse) und einer aus Dobersaul (Cr, als Schmerser).

Zusammenfassend kann man sagen, daß der Familienname Schmerse vom slawischen Wort smardz stammt und Speisemorchel bedeutet. Der Name kann dabei von einem Ortsnamen oder direkt von der Pilzbezeichnung als Personennamen übertragen worden sein. Diese Übertragung und Eindeutschung dürfte zwischen der Mitte des 13. Jahrhunderts (erste Nennung des Ortsnamens Schmersau) und Ende des 16. Jahrhunderts erfolgt sein (erste Nennung des Familiennamens).

Damit paßt die Veränderung des Namens von der slawischen zur deutschen Form zeitlich zur Änderung der Besitzverhältnisse der Gegend südlich der Warthe von slawischen zu deutschem Besitz; da die Familiennamen überhaupt erst zwischen dem 12. und dem Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden, konnte der Name in der geänderten Form festgeschrieben werden. Die Slawen hatten möglicherweise schon seit lange vor unserer Zeitrechnung bis an die Elbe hin gewohnt, sicherlich jedoch seit der Völkerwanderung, wobei das Slawenland und so auch die spätere Neumark in der fraglichen Epoche recht dünn besiedelt war. Zunächst ist soviel wahrscheinlich, daß noch im 13. Jh. eine beträchtliche Zahl benannter Einzelgehöfte im Lande vorhanden war; vielleicht hat sich das Mehrhofsystem erst unter dem Einfluß des Deutschtums gebildet. Die Annahme ist berechtigt, daß die große Masse der Dörfer im Besitz eines einzelnen Edlen oder Halbedlen sich befand, der dort auch seinen ständigen Wohnsitz gehabt haben dürfte13. Die ersten Ansiedlungen waren die Wohnplätze einer einzelnen Familie, es entstanden viele Ansiedlungen mit Namen, welche sich auf die natürliche Beschaffenheit des Ortes bezogen. Diese Ansiedlungen lagen nun in besonders zahlreichen Fällen an fließendem Wasser, der Ortsname Kernein z.B. wird als "Siedlung an der Wasserrinne" gedeutet.

Herzog Heinrich d. Bärtige v. Schlesien (seit 1228 auf dem Thron von Krakau), beerbt den 1231 als landloser Flüchtling gestorbenen Herrscher des einen Teils Großpolens, Wladyslaw den Älteren, und beginnt dessen Enkel Wladyslaw Odonicz, der den anderen Teil hält, das Land abzunehmen. Im Friedensvertrag von 1234 erhält er alle Gebiete links der Warthe und außerdem die Kastellanei Zantoch. Für Heinrich wie auch für Wladyslaw gilt, daß sie in ausgedehnter Weise die Ansiedlung der ritterlichen und mönchischen Orden und damit zugleich die deutsche Kultur zu fördern bestrebt waren. Betrachten wir alle jene Verleihungen bezw. Bestätigungen von Gütern an die Orden, ihre Menge, ihre Ausdehnung, so wird man begreifen, daß man sich zur Erklärung dieser Freigebigkeit mit dem Hinweis auf die bekannt Haltung Wladyslaws gegenüber der Geistlichkeit allein nicht hat begnügen wollen. Man hat darauf hingewiesen, daß man die Orden gern an den großen Landstraßen ansiedelte, wo sie dann die Sorge für die Ordnung und Sicherheit, besonders auch für die Kaufleute, schon im eigenen Interesse des vermehrten Verkehrs, übernahmen. Auch die Grenzgebiete wurden aus ebendiesem Grunde wohl bevorzugt; sie waren alle in die Hände der Orden gebracht, wo sie nach damals noch geltender Anschauung dennoch zur Verfügung des Landesherrn standen. Es waren also durchaus friedliche Absichten, die den Herzog Wladyslaw und ebenso seine fürstlichen Zeitgenossen leiteten. Da man nun mit derartigen Schenkungen an kirchliche Körperschaften am ersten an den Grenzen freigebig war, so dürfen wir glauben, daß Herzog Przemysl, der Sohn des Wladyslaw Od., 1252 den heutigen Landsberger Kreis wieder für die Kastellanei Zantoch zurückgewonnen hat. Die oben erwähnten ersten Schmerse lebten fast ausschließlich im sogenannten Südlichen Teil der ehemaligen Kastellanei Zantoch, welcher sich zwischen Warthe und Postumfluß bis nach Zielenzig erstreckte, ein Gebiet, welches erst um 1300 märkisch wurde. Da die Zisterzienser das Dorf Kernein nahe bei Zantoch schon ab 1252 besaßen, und sie ihre neuen Besitzungen innerhalb weniger Jahre mit deutschen Bauern zu besiedeln pflegten, dürften deutsche Siedler etwa um 1260 hier Fuß gefaßt haben.

Klöster gab es innerhalb des später neumärkischen Gebietes nicht. Die beiden Ansiedlungen der Zisterzienser, die hier angrenzten, Kolbatz und Paradies, waren zu dieser Zeit im wesentlichen nicht slawisch. Südöstlich von Seeren bestand schon seit 1234/6 das Zisterzienserkloster Paradies, 2 Meilen nördlich von Schwiebus, eine Tochter des havelländischen Lehnin. Seit 20 Jahren hatte es eine große Anzahl von Gütern an sich gebracht, indessen scheint in diesen Jahrzehnten für eine eigentliche deutsche Kolonisierung hier noch nicht viel geschehen zu sein. Die Zahl der dem Kloster Paradies vereigneten war fortwährend gestiegen; 1257 besaß das Kloster bereits 28 Dörfer außerhalb des späteren Kreises Schwiebus. Auf jeden Fall wird um diese Zeit das Mutterkloster bemüht gewesen sein, durch Heranziehung deutscher Ansiedler die dortigen Besitzungen nutzbar zu gestalten. Und in gleicher Weise wird man in Paradies verfahren sein, namentlich seit 1257, denn die von Paradies angestrebte Verdeutschung seiner Dörfer hatte durchgreifenden Erfolg erst, als das Gebiet an seiner Westgrenze märkisch geworden war.

Die Germanisierung und Christianisierung des Wendenlandes war die bei weitem hervorragendste Tätigkeit des Ordens im nordöstlichen Deutschland14. Aber die Zisterzienser mußten auch als Stätten der Germanisierung sich für das Wendenland besonders empfehlen. Kein Orden hatte einen so engen Zusammenhang unter sich, wie dieser; der Einfluß der Mutterklöster war ein außerordentlicher. Nun lagen alle Mutterklöster in deutschem Gebiet. Von dorther zogen die Tochterklöster ihre Bewohner, von dorther wurde sie visitiert. Die Klöster des Wendenlandes erforderten noch viel Zuschuß an Kräften, der Zudrang zu den ihnen wird sich kaum schon auf das in der Germanisierung begriffene Land östlich der Elbe ausgedehnt haben. Sie hatten aber nun bei dem großen Umfang des ihnen zur Kultur überwiesenen Bezirks viele Arbeitskräfte nötig und so haben sie gewiß beständig Nachschub aus den Mutterklöstern erhalten. Daher stammten ohne Zweifel viele der Siedler aus älteren Teilen der Mark. Aber dies wird doch eigentlich nur für die sanior pars, die ausschlaggebenden Personen, gelten. Aus der Ferne kamen nicht die in manchen Dörfern recht zahlreichen Kossäten, aber doch gewiß eine größere Zahl von Bauern. Eben jetzt begann ja in Niedersachsen jene Auflösung der bestehenden Villikationsverfassung, durch welche soviele Leute zu "freien Landsassen" wurden, die nun zum großen Teil in den Neuländern östlich der Elbe ein neues Eigen suchten.

Das Kloster Lehnin, das Mutterkloster von Paradies, war von allen in der Mark vorhandenen das älteste und ansehnlichste, es besaß 24 Dörfer und mehrere Vorwerke, darunter z.B. das Dorf Schmergow15; wenig weiter liegt Schmersau bei Stendal . Aus dieser Gegend kamen also um 1260 die neuen Bauern, mit denen von Paradies aus das Dorf Kernein besiedelt wurde. Und wenn auch eine Anwesenheit slawischer Vorväter in Kernein im 13. Jahrhundert nicht ausgeschlossen werden kann, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Schmerse als neue Siedler aus dem Havelland oder der Altmark hierherkamen und ihren Familiennamen als Ableitung ihrer Herkunft mitbrachten.

Quellen:
1. Prof. Dr. sc. Ernst Eichler, Leipzig: pers. Mitteilung an Herbert Schmerse.
2. Prof. Dr. Andrzej Z. Bzdega, Leiter der Abteilung Deutsche Sprache im Institut für germanische Philologie der Universität Posen: pers. Mitteilung an Herbert Schmerse.
3. Gottschald, Max: Deutsche Namenkunde, Berlin 1971
4. Kalina, P. : Handwörterbuch polnisch-deutsch, Wiedza Powszechna, Warszawa 1963. Piprek, J. et al. : Großwörterbuch Polnisch-Deutsch, Warszawa 1986. Chodera, J. ; Kubica, St. : Handwörterbuch Deutsch-Polnisch, Warszawa 1979.
5. Bahlow, Hans: Deutsches Namenlexikon, München 1967
6. Bach, Adolf: Deutsche Namenkunde, Heidelberg 1952
7. Heintze-Cascorbi: Die deutschen Familiennamen, Halle/Berlin 1933
8. Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon, Bischofswerda 1911
9. Seeliger, Oskar: Geschichte des Kirchspiels Schmarse, Landsberg 1915
10. Eichler, Ernst: Die Ortsnamen der Niederlausitz, Bautzen 1975
11. Berghaus, Heinrich: Landbuch der Mark Brandenburg . . . , Brandenburg 1856
12. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Lexikon, Leipzig und Halle 1743, Nachdruck Graz 1961
13. von Nießen, Paul: Geschichte der Neumark im Zeitalter ihrer Entstehung und Besiedlung, 1905
14. Winter, Franz: die Zisterzienser des nordöstlichen Deutschlands, Gotha 1868, Neudruck Aalen 1966
15. Klöden, Karl: Die Mark Brandenburg unter Kaiser Karl IV. bis zu ihrem ersten Hohenzollerschen Regenten, oder: Die Quitzows und ihre Zeit. Berlin 1836/7

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