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Die Hauptwach ist gestürmt!
(kleiner Exkurs in die Geschichte von Frankfurt/Main)


3. April 1833. Am Abend, kurz vor halb zehn. Es ist schon dunkel. Noch gibt es keine Gasbeleuchtung. Durch den Großen und Kleinen Hirschgraben zieht schweigend ein Trupp junger Männer. Es sind 31 an der Zahl. Fast alle sind Studenten, viele von auswärts. Sie sind bewaffnet mit Gewehren, auf denen Bajonette aufgepflanzt sind, mit Pistolen und Degen.

Im Dunkel der Katharinenkirche verharrt der Trupp für ein paar Augenblicke. vor ihm liegt die matt erleuchtete Hauptwache. Ein Posten geht unter den Säulen auf und ab. Dann gibt einer der Männer an der Katharinenkirche das Kommando: "Fällt das Gewehr!" Im nächsten Augenblick stürmt der Trupp auf die Hauptwache. Einige schreien "Hurra!", die anderen "Freiheit!" Und auch der Ruf ist zu hören, der in diesen unruhigen Jahren landauf, landab ertönt: "Fürsten - hinaus!"

An diesem Abend hat man die Wachmannschaft der Hauptwache vorsorglich um zehn Mann auf 50 vermehrt. Die Wachtmtannschaft wird vom Frankfurter Linienbataillon gestellt (die "Linie" war sozusagen Frankfurts "stehendes Heer", die Berufssoldaten, im Gegensatz zur Bürgerwehr). Man hat die Wachmannschaft deshalb verstärkt, weil kurz zuvor ein anonymer Schreiber die Behörden vor einem Angriff gewarnt hatte.

Die Soldaten sind dennoch arglos. Auch diesmal haben sie, wie gewohnt, ihre Gewehre in der Vorhalle aufgestellt. Es wird berichtet, daß sich außerdem beim ersten Geschrei draußen der wachhabende Offizier durch ein offenstehendes Fenster hinter das Gebäude "zurückzog".

Die Überrumplung gelingt. Der Posten wird niedergestochen. Durch die Tür und das Fenster schießen die Angreifer ins Innere der Hauptwache. Ein Sergeant und ein Soldat werden getötet, vier Soldaten verwundet. Dann ist die Hauptwache erobert.

Die Aufrührer fordern die Soldaten auf, sich ihnen anzuschließen. Jetzt breche im ganzen Land die Revolution gegen die Fürsten aus, so erklären sie, und Deutschland werde eine republikanische Verfassung erhalten. Im Triumph werden mehrere politische Gefangene aus den Arrestzellen im ersten Stock befreit. Darunter sind auch zwei Literaten, die man wegen Pressevergehen eingesperrt hat.

Es gärt seit Jahren in Europa. Die Julirevolution 1830 hat den französischen König vertrieben. Die Polen haben sich in einem blutigen Aufstand gegen ihre Herren, die Russen, erhoben. In vielen Ländern haben sich Volksbewegungen gegen die absolutistische Macht der Regierenden gebildet. Rückschläge bleiben nicht aus.

Zu Beginn des Jahres 1832 durchziehen die Trümmer der geschlagenen polnischen Armee die Stadt. Es sind vorwiegend Offiziere. Überall werden sie mit größter Anteilnahme aufgenommen. Die Stimmung verschlechtert sich, und die Obrigkeiten verstärken den Druck. Der Bundestag in Frankfurt, das oberste Organ der deutschen Fürsten, schränkt das Vereinswesen ein, die Volksver­sammlungen werden verboten, die schwarzrotgoldenen Abzeichen dürfen nicht mehr gezeigt werden. Es wetterleuchtet überall. Hier und da versuchen es die Revolutionäre mit Gewalt. Es bleibt bei Versuchen. Sie sind viel zu schwach. Auch der Frankfurter Studentenputsch vom April 1833 ist ein vereinzeltes Auf­bäumen. Er ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Eine Menschenmenge sammelt sich um die Hauptwache an. Die Aufrührer rufen lhnen zu, die Waffen zu ergreifen. Aber die Menge wartet ab. Nur von Bonames her rückt eine Schar Bauern mit einer schwarzrotgoldenen Fahne auf die Stadt zu und vertreibt die Beamten des Nebenzollamtes Preungesheim. Aber das Friedberger Tor ist stark bewacht, und der Haufen kehrt schließlich wieder um.

Von der Konstablerwache her hört man gleichfalls Schüsse. Ein zweiter Trupp - es sind mehrere polnische Offiziere darunter - hat zur gleichen Zeit diese Wache gestürmt. Zwei Soldaten werden getötet, drei verletzt. Und nun fängt auch die Sturmglocke des Domes zu läuten an. Ein Dutzend Aufrührer hat die kleine Polizeiwache dort überrumpelt, sie hat die Turmtür eingeschlagen, und die Sturmglocke soll nun das Zeichen zum allgemeinen Aufruhr geben.

Aber inzwischen ist das Linienbataillon im Anmarsch. Es hat in seiner Kaserne in Bereitschaft gelegen. Mit gefälltem Bajonett rückt es über den Roßmarkt gegen die Hauptwache vor. Die Aufrührer räumen das Gebäude und den Platz. An der Konstabler­wache kommt es zu einem wütenden Feuergefecht und zu einem Handgemenge. Dann ist auch diese Wache wieder in der Hand des Militärs.

Kurz nach zehn Uhr ist der Putsch endgültig gescheitert. Im Schauspielhaus am Theaterplatz gibt man an diesem Abend die Lieblingsoper der Frankfurter, "Robert, der Teufel". Als die Besucher auf die Straße kommen, ist alles bereits vorbei. Sie haben von den Vorfällen nichts gemerkt. Sechs Liniensoldaten sind tot, 14 verwundet. Die Verluste der Aufrührer sollen nur zwei Tote und Verwundete betragen haben; man weiß es nicht genau, da sie ihre Opfer mit sich nehmen. Nur zwei von ihnen werden an Ort und Stelle gefangengenommen.

Die anderen versuchen im Dunkel der Nacht über die nahen Grenzen zu fliehen. Viele werden von Bürgern in und außerhalb Frankfurts durch Wochen versteckt gehalten.

Noch in der Nacht wird alles, was in Frankfurt Student ist, aus den Betten geholt und verhört. "Am anderen Morgen war große Studentenjagd in allen Straßen. Wer eine Mütze trug, wer einen Schnurrbart hatte oder eine lange Pfeife, der wurde als verdächtig ergriffen". Etliche wandern in die Gefängnisse. Der um seine Sicherheit besorgte Bundestag der Fürsten aber läßt 2500 österreichische und preußische Soldaten kommen, die sich für Jahre in Sachsenhausen, Bornheim, Rödelheim, Ober- und Niederrad einquartieren.

Die verhafteten Studenten haben die Sympathien der Bevölkerung. Einer von ihnen, namens Lizius, entflieht ein halbes Jahr später aus der Konstablerwache, und Frankfurt singt ein Spottlied, das mit den Zeilen schließt: ,,0 Polizei, wieviel Verdruß macht dir der Studio Lizius!"

 

Die Hauptwache im 18. Jahrhundert

 
Ein Jahr nach dem Aufstand kommt es sogar zu einem gewaltsamen Versuch, die Gefangenen der Konstablerwache zu befreien. Verschiedene Trupps rotten sich vor der Wache zusammen. Fünf Gefangene, die ihre Gitter durchgefeilt haben, lassen sich an Bettüchern aus den Zellen im ersten Stock herab. Aber nur einem gelingt die Flucht, ein anderer stürzt sich zu Tode. Eine Salve der Wache tötet einen unbeteiligten Schmiedemeister. Man ermittelt, daß es sich bei dem Befreiungsversuch um ein Komplott in der Schützenkompanie gehandelt hat. Drei der Beteiligten werden schwer bestraft, sechs andere kommen mit Arrest davon.

Erst nach dreieinhalb Jahren wird das Urteil über die Inhaftierten gefällt, von denen inzwischen zwei wahnsinnig geworden sind. Die meisten, nämlich zehn, werden zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. Einer von ihnen flieht am Tage nach der Urteilsverkündung aus dem Rententurm zusammen mit einem Wärter. Und sechs weiteren Studenten gelingt kurz darauf eine Massenflucht aus der Konstablerwache. Während ein Wärtergehilfe, der mit ihnen unter einer Decke steckt, dem diensttuenden Beamten medizinische Tafeln über Geburtshilfe zeigt, entkommen sie. Aus dem schweren Hoftorschlüssel, den sie zur Flucht benutzen, lassen sie sich Ringe schmieden, später, in der Schweiz. Die meisten von ihnen werden dort Ärzte und Lehrer.

 
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